Eine Einführung und Erklärung des Minnesangs zusammengestellt von Josef X. Brunner (der von Hilfikon),
in Anlehnung an die Vorlesung von Professor Ulrich Müller abgerufen am 17.9.2024 (Quelle am Ende des Textes)
Trobadors, Trouvères und Minnesänger
1) Liebesdichtung
Dichtung über Liebe ist in allen Kulturen und Zeiten präsent, von leidenschaftlicher Liebe bis hin zu Extremen wie Askese und Liebeswahnsinn. Liebe ist eine menschliche Universalie und zeitloses Thema.
Nach dem Zusammenbruch des Weströmischen Reiches und der Christianisierung, die das Jenseits betonte, entwickelte sich ab 1100 im lateinisch-katholischen Europa ein neuer weltlicher Fokus. Es entstand eine Literatur, die sich mit menschlichem Leben, Gefühlen und dem Verhältnis zu Gott beschäftigte, und nicht mehr nur auf Latein, sondern in den Volkssprachen verfasst wurde. Besonders die Lyrik über Liebe entwickelte sich in den okzitanischen, nordfranzösischen und deutschen Sprachen.
2) Torbadors, Trouvères, Minnesänger
Die neue Liebesdichtung des Mittelalters fand in drei Formen statt: Epik, Didaktik und gesungene Lyrik.
Die Hauptvertreter dieser Dichtung waren die Trobadors, Trouvères und Minnesänger, Bezeichnungen, die erst später dominierend wurden. „Trobador“ und „Trouvère“ leiten sich von den Wörtern
„finden“ oder „erfinden“ ab, während „Minnesänger“ aus dem mittelhochdeutschen „Minne“ stammt, was ursprünglich „intensives Denken“ bedeutete, später aber „Liebe“ bezeichnete.
Die Lieder dieser Dichter behandelten das Wesen, die Entstehung und das Ende der Liebe.
Obwohl die mittelalterliche Liebeslyrik unter den spezifischen Bedingungen der ritterlichen und feudalen Gesellschaft entstand, unterscheidet sie sich nicht grundlegend von der Liebesdichtung
anderer Epochen.
Die Kirche und das aufstrebende Bürgertum spielten eine wichtige Rolle im Leben dieser Gesellschaft.
3) Mittelalterliche Liebeslyrik
Die Liebeslyrik in den drei europäischen Sprach- und Kulturräumen zwischen 1100 und dem späten 15. Jahrhundert fasst den Begriff „Liebe“ umfassend aber fokussiert auf heterosexuelle Beziehungen
auf. Homoerotische Liebe existierte zwar auch im Mittelalter, wurde jedoch im Gegensatz zur Antike stark kriminalisiert, insbesondere durch die Kirche. Deshalb gibt es kaum Dichtung, die
homoerotische Liebe direkt thematisiert. Überlieferungen dazu fehlen weitgehend, abgesehen von kirchlichen Texten, die homoerotische Handlungen streng verurteilten,
wie etwa in Beichtspiegeln.
4) Dichter, Sänger und Publikum
Graf Wilhelm IX. von Aquitanien gilt als erster namentlich bekannter Trobador, während Oswald von Wolkenstein und François Villon das Ende der Epoche markieren. In Frankreich gab es weibliche
Verfasserinnen von Liebesliedern, im deutschen Sprachraum jedoch kaum. Die Dichter stammten aus allen Gesellschaftsschichten,
von Adligen und Königen wie Kaiser Heinrich VI. und Richard Löwenherz bis hin zu fahrenden Sängern und Spielleuten, die von ihrer Kunst lebten. Diese Künstler vereinten manchmal, aber nicht immer
und vor allem
nicht nachvollziehbar, das Schreiben von Texten, das Komponieren der Melodien und den Vortrag ihrer Werke.
Ihre Lieder wurden auch von Berufsmusikern, sogenannten „Spielleuten“, vorgetragen, die vermutlich selbst
kaum Texte schrieben.
Das Publikum ist ungefähr in den gleichen Kreisen zu suchen, also an den verschiedenen Höfen, aber sicher auch Klöstern, in den Städten (zumal reicheren Bürgerhäusern) - was das breite Volk der
Bauern an Formen von Liebesliedern kannte, ist nicht überliefert (was natürlich nicht bedeutet, daß es solche nicht gegeben hätte).
5) Aufführung und Niederschrift
Die Lieder der Trobadors, Trouvères und Minnesänger wurden vermutlich bereits zu Lebzeiten der Autoren schriftlich festgehalten, jedoch mündlich vorgetragen, meist in kleinem Rahmen, wie an den
Höfen der Adligen.
Der direkte Kontakt zwischen Sänger und Publikum war wichtig. Die erhaltenen handschriftlichen Aufzeichnungen sind oft spätere Abschriften; Originale existieren erst ab dem späten Mittelalter. Es
sind deutlich mehr Texte als Melodien überliefert, wobei die Trouvères die meisten Melodien hinterlassen haben, die Minnesänger die wenigsten. Ein berühmtes Beispiel für eine Handschrift ist die
"Manessische Liederhandschrift" aus dem frühen 14. Jahrhundert, die Texte von 140 Autoren enthält, aber keine Melodien. Über Auftritte der Minnesänger ist wenig bekannt, während für Trobadors
sogenannte "vidas" (Biografien) und "razos" (Liedkommentare) existieren,
deren Genauigkeit jedoch umstritten ist. Sie bieten dennoch einen Einblick in das Leben und Wirken dieser Dichter.
6) Herkunft der Liebeslyrik
Die Ursprünge der weltlichen Liebeslyrik des Mittelalters sind vielfältig und umstritten. Es wurden zahlreiche mögliche Einflüsse genannt, darunter die antike Liebeslyrik in lateinischer Sprache,
besonders Ovid, volkstümliche Lieder (obwohl keine überliefert sind), lateinische Hymnen, die arabische Liebeslyrik aus dem damaligen Spanien sowie das Hohe Lied des Alten Testaments. Der Text
legt nahe, dass es wahrscheinlich ein Bündel verschiedener Ursprünge gibt. Die arabische Theorie, also die Einflüsse aus dem arabischen Spanien, wird besonders betont,
da der okzitanische Sprachraum direkt an dieses Gebiet grenzte.
7) Inhalte und Gattungen
Die Liebeslieder der Trobadors, Trouvères und Minnesänger variieren in ihrer Form und ihrem Inhalt, sie behandeln jedoch fast immer die Themen von Liebe, Begehren, Verehrung und den damit
verbundenen Herausforderungen. Sie spiegeln die gesellschaftlichen und kulturellen Normen ihrer Zeit wider, wie etwa die ritterliche Verehrung der Dame und die Ideale des höfischen
Liebesdienstes, der oft unerfüllte oder unerwiderte Liebe thematisiert.
Doch nicht alle mittelalterlichen Liebeslieder handeln von "Hoher Minne" (fin amors), also idealisierter und unerfüllter Liebe. Ein Beispiel ist Walthers von der Vogelweide berühmtes Liebeslied
"Unter der Linde".
In diesem Lied spricht eine Dame über erfüllte Liebe, ohne Rücksicht auf Standesunterschiede – was damals gesellschaftlich brisant war.
Auch bei Guilhelm IX, dem ersten bekannten Troubadour, gab es sowohl lyrische Werke über Entsagung als auch derb-erotische Lieder. Einige seiner Lieder beinhalten anstößige Vergleiche, wie etwa
Frauen mit Pferden oder das Erzählen von sexuellen Ausschweifungen. Diese Lieder wurden als "contre-textes" bezeichnet und galten als so skandalös, dass sie in frühen wissenschaftlichen Ausgaben
nicht übersetzt wurden.
Ähnliches gilt für den mittelhochdeutschen Minnesänger Kürenberger oder Oswald von Wolkenstein.
Auch sie schrieben sowohl über unerfüllte Liebe als auch über Frauen in einer groben und machohaften Weise.
Dies zeigt, dass der Gegensatz zwischen idealisierter und derber Liebeslyrik im Mittelalter bereits von Anfang an bestand und sich nicht erst im späteren Mittelalter entwickelte.
8) Metrik und Musik
Die Lieder bestanden meist aus formal identischen Strophen, ähnlich wie moderne Lieder. Jedoch wurde für jedes mittelalterliche Liebeslied oft eine eigene, neue Strophenform und Melodie
entwickelt, was zu einer großen Vielfalt an Formen führte. Die deutschen Minnesänger übernahmen häufig metrische Formen und Melodien aus dem Westen, vor allem aus dem okzitanischen und
nordfranzösischen Raum, und schufen sogenannte Kontrafakturen – also neue Texte zu bestehenden Melodien.
9) Heutige Aufführungen
Mittelalterliche Liebeslieder waren vermutlich meist gesungen und ihre authentische Darbietung lag daher im Gesang. Das heute übliche stille Lesen ist die am wenigsten authentische Form der
Rezeption, da im Mittelalter lautes Lesen verbreitet war. Melodien der Lieder sind oft überliefert oder rekonstruierbar, aber Aufzeichnungen
zu Rhythmus, Tempo, Ausdruck und Instrumentalbegleitung fehlen. Diese Aspekte waren damals improvisationsfrei gestaltet und den Musikern überlassen. Heutige Musiker müssen sich die damalige
Musizierpraxis aus erhaltenen Traditionen, wie der Folklore oder orientalischen Musik, wieder aneignen, was zu sehr unterschiedlichen Aufführungen führt.
Im Mittelalter bevorzugte man im deutschen Sprachraum baritonale Stimmen, während im romanischen Raum eher Tenorstimmen gefragt waren. Ob Frauen beteiligt waren, ist unklar, ebenso wie die
Verwendung der männlichen
Alt-Stimme. Kastraten hingegen waren nicht gebräuchlich. Sowohl a-capella-Gesang als auch instrumentale Begleitung waren möglich.
10) Einstimmigkeit und Vielstimmigkeit
Zunächst waren weltliche Lieder, ebenso wie der gregorianische Kirchengesang, einstimmig (monodisch).
Die Polyphonie, also Mehrstimmigkeit, entstand im späten 11. Jahrhundert, vor allem in Frankreich. Gleichzeitig entwickelte Guido von Arezzo ein Notationssystem, bei dem Melodien durch Zeichen
auf Linien festgehalten wurden, was die exakte Tonhöhe festlegte. Mit dem Aufkommen der Polyphonie wurde es notwendig, auch die Dauer der Töne zu notieren, was zur Entstehung des modernen
Notensystems führte.
Mehrstimmige Kompositionen für weltliche Lieder traten im deutschen Sprachraum erst spät auf. Die ersten überlieferten Beispiele stammen von Mönch von Salzburg im späten 14. Jahrhundert und
Oswald von Wolkenstein im frühen 15. Jahrhundert. Diese Entwicklungen machten die europäische Musikgeschichte einzigartig im Vergleich zu anderen Kulturen.
11) Formen der mittelalterlichen Liebeslyrik
Obwohl es auch derbe und sinnliche Texte gab, dominieren Lieder über unglückliche, unerfüllte Liebe, Schmerz und Leidenschaft. Diese Themen spiegelten weniger das tatsächliche Privatleben des
damaligen Publikums wider, sondern eher ihre Wünsche und Ängste – ähnlich wie in modernen Schlagern. Es gibt verschiedene Erklärungsansätze, wie „Hohe Minne“ und „fin amors“ verstanden werden
können: als Erziehung zur Tugendhaftigkeit, als Ausdruck sozialer Strukturen (wie Dienst und Lohn im Feudalsystem), als verschlüsselte politische Botschaften oder einfach als zeitlose Faszination
für das Verbotene.
Interessanterweise bleibt die Ehe in den Liebesliedern fast immer ausgespart. Liebesgeschichten, die auf eine Ehe abzielen, finden sich eher in der mittelalterlichen Epik, etwa in den tragischen
Geschichten von Tristan und Isolde oder Lancelot und Guinevra. Diese Erzählungen thematisieren verbotene, oft tödlich endende Liebe.
Zusammenfassung
Anstelle von Prosa sei an dieser Stelle ein Lied des Salzburger Liedermachers, Kabarettisten und Theaterautors Peter Blaikner gesetzt - seine "Elfte Liebesode" macht macht den Kern des
Minnesanges anschaulich:
Bist mit deinem zarten Alter
Eine Augenweide
Kommst aus einem Lied von
von der Vogelweide
Deine Haut ist wie aus Seide
Wie dein Büstenhalter
Deine Augen blicken beide
Aus dem Mittelalter
Deine Beine. deine Hände
Sind wie Buschwindröschen
Deine still verborgnen Lenden
ein Dornröschenschlößchen
Denk ich nur an deine Höschen
Seidne, transparente
Möcht ich sanft in deinem Schößchen
Schlafen ohne Ende
Leider, unglücklichweise
Bist du schon vergeben
An so einen Kerl dem bleibst du
Treu fürs ganze Leben
So besing ich dich in Oden
Dies ist schon die elfte
Das entspannt zwar meine obre
doch nicht untre Hälfte.
Text und Inhalt nach einer Vorlesung von Ulrich Müller, einem der versiertesten Kenner der Materie (Professor an der Universität Salzburg, geboren 1940 in Göppingen; gestorben 14. Oktober 2012 in
Salzburg).
https://www.plus.ac.at/wp-content/uploads/2021/02/543155.pdf abgerufen am 17.9.2024
Weiterführende Literatur: Handbuch Minnesang. Herausgegeben von: Beate Kellner , Susanne Reichlin und Alexander Rudolph, in der Reihe De Gruyter Reference